Es ist Sommer. Oder so ähnlich. Es ist knapp an der Grenze zu kühl, in spätestens einer Stunde kann ich nicht mehr entspannt auf dem Balkon sitzen und Kagor trinken. Vielleicht bin ich dann wieder ruhelos und gehe joggen.
Ein Schluck, und mir gehen Dinge durch den Kopf. Nicht, dass der eine Schluck wirkt, ich vertrage nicht viel, aber ein Schluck ist nichts. Es ist mehr eine psychosomatische Wirkung. Bei Alkoholikern kann es das-süchtige-Hirn-merkt-dass-es-Stoff-gibt sein. Ohne Alkoholiker zu sein, kenne ich mich leider nur allzu gut damit aus. Nö, es ist interessanter: der Schluck signalisiert meinem ruhelosen Hirn, dass ich mir jetzt einen gemütlichen mache. All die Dinge, die ich noch zu erledigen habe. Die Stressdinge, die mich in spätestens einer Woche einholen und gegen die mir niemand helfen wird. Wobei, bei meiner Schwester kann ich mich brauchbar auspissen. Nachdem ich das schon mal gemacht habe und die mich jetzt über Pfingsten besucht, kann es nicht so schlimm gewesen sein.
Es ist Sommer (eigentlich ist es ja Frühling, aber „Es ist Sommer“ klingt einfach besser), ich sitze auf meinem Balkon und meine Fingernägel nerven gewaltig beim Tippen auf dem Tastaturcover von meinem Tablet. Eine Kleinigkeit, aber die lenkt ab. So letztens beim Putzen. Ich mache das Waschbecken sauber und gehe in die Küche, Lappen holen. In der Küche sehe ich noch was Geschirr stehen, räume das meiste ein, gehe ins Bad, Klopapier als Küchenrollenersatz nehmen, schaue kurz in den Spiegel, gehe in mein Zimmer, den Nagelknipser suchen, sehe dort den Boden, gehe ins Bad, den Besen holen, laufe bei der Küche ein, weil dort auch gekehrt werden muss, sehe das Geschirr und merke, dass ich einen Putzautismus habe. Sauber wird die Wohnung schon. Es dauert nur.
Dinge durch den Kopf. Oder Erinnerungen. Vorhin, als ich über die Brüstung schaute, gingen mir die Menschen durch den Kopf, die mir geschadet haben. Ohne es zu wollen, aber am Ende doch Leid. Manche ohne es zu wollen oder zu merken, manche mit später folgender Einsicht, manche auch aus purer Bosheit. „Ich muss auch mal an mich denken“ nach einer längeren Phase puren Egoismus. So war es gestern auch, als ich joggen war. Wie damals, vor ein paar Jahren, als ich durch brühende Hitze und Barfuß mit dem Fahrrad (mit Spikes an den Pedalen) in die Nachbarstadt gefahren war. Angepisst, ruhelos, auf geht’s. Und irgendwie war alles leiser. Klingt wie eine Fluchtreaktion, ist eine Fluchtreaktion. Nichts ist gelöst, nur weggeschoben. Macht aber nichts, etwas Ausgeglichenheit ist Treibstoff, aus dem man schöpfen kann, für sich oder für eine gesellige Runde. Ich bin schwer der Meinung, dass ich anstrengend bin, wenn ich akut down bin. Zeug spurlos in mich reinfressen konnte ich früher, inzwischen nicht mehr.
Durch den Kopf, am Kopf. Es ist Frühling und da macht man gern was für sich. Neben den vielen Freizeitgenüssen, zu denen mir die Möglichkeit fehlt, kann ich was für meinen Kopf tun, um genau zu sein, was für meine wehende Mähne. Naja, fast, da ist meistens ein Pferdeschwanz. Meiner Mutter nach habe ich schönes dichtes Haar. Zu der selbigen habe ich eigentlich kaum Kontakt, was aber ein Thema ist, was ich nicht stocknüchtern evaluieren will. Meine Professorin während der Diplomarbeit fand meine Haare toll. Recht seltsam, wenn sie, wenn sie durchs Büro läuft, hinter mir stehenbleibt, eine Strähne greift und ein „Schön“ von sich gibt. Die Person, wegen der ich damals mit der Langhaarerei angefangen habe, hat mir zwar auch viele Probleme bereitet, aber die Haare trage ich schon lang wegen mir lang. Spitzen schneiden, Stufen, die Friseuse war echt nett. Oder heißt es politisch korrekt „Frisörin“? Fuck political correctness.
Kanaken! Darf man ja nicht sagen, außer man ist Stand-up-Komödiant. Ich bin selber Russe, ich darf ausländermäßig politisch inkorrekt sein.