Melancholie

Ich sitze auf meinem Stuhl
und ich schaue aus dem Fenster.
Wo komm ich her? Wo geh ich hin?
Und wie viel Zeit
werd’ ich noch haben?
Ich denke nach über die Welt,
über das, was wirklich zählt,
ich weiß genau, was mir jetzt fehlt…
-Die Ärzte

Tja, was mir fehlt, das ist eine ganz andere Geschichte und wir brauchen nicht darüber zu reden. Wichtiger ist im Moment der Stuhl, auf dem ich sitze. Konkret handelt es sich um einen ehemaligen Sitz der 1. Klasse im Interregio, der mit der Umwidmung des kleinen Abteils zur 2. Klasse die Kopfpolster, aber nicht den vermeintlichen Sitzkomfort eingebüßt hat. Das Abteil ist ziemlich voll, aber angenehm kühl. Man sagt, man ist nirgends so allein, wie in einer Menschenmenge und für kriminelle Verschwörungen stimmt das sicher. Für einen selber kommt es dagegen darauf an, was man im Inneren hat, was man aus der Umwelt macht und wie man zu ihr und zu sich selber steht. Einen Scheißtag gehabt? Drauf scheißen und sich einen netten Abend machen.

Die Kehrseite der Medaille ist, dass wenn man wenig Selbstsicherheit hat, aus der man schöpfen kann, jeder Tag ein Scheißtag ist und das mit dem netten Abend wird auch nichts mehr. Jedenfalls schaue ich aus dem Fenster. Die Landschaft sieht genauso aus, wie gestern, vorgestern, jedem Tag zuvor und an sicherlich vielen Tagen wird sie genauso aussehen. Wenn nicht gerade ein malerisches Wolkenschloss die Aufmerksamkeit erregt, kann man gut seinen Gedanken nachhängen. Wo ich herkomme, ist mir eigentlich egal, immerhin zählt, was man selber aus sich macht. Wo ich hingehe, kann ich mit Gewissheit sagen, aber bis dahin bleibt mir noch ein Weilchen, was aus dem Leben zu machen.

Ich habe früher mehr geschrieben. Wenn ich alleine bin mit meinen Gedanken können wunderschöne Dinge rauskommen, oder eine ganz persönliche Hölle. Was genau, hängt davon ab. Von dem Tag, von der Situation, vom Gefühl. Eindrücke, werden zu Gefühlen, Gefühle zu Gedanken und diese zu Sätzen. Die Sätze finden dann ihren Bestimmungsort.

Bei guter Laune kann man nicht gut schreiben. Wenn man von innen leuchtet, wenn alles von selber zu gehen scheint, wenn das Glück überkocht, wenn man es kaum in sich halten kann, wenn man es rausschreien möchte, wenn man das Gefühl hat, vor Glück platzen zu können und es explosiv rauslassen will, in dem Zustand kann ich nicht schreiben. Ich meine so etwas hier, Lyrik, tiefgehend oder nicht, für ein anonymes Publikum. Stattdessen verwende ich meine Kreativität für den Grund, warum es mir so gut geht. Ich gebe die Freude zurück und benutze die Lyrik im Privaten. Meine Inspiration kehrt zu ihrer Ursache zurück und erschafft mehr Freude.

Ohne Freude fehlt die Inspiration und die Welt wird immer leerer. Über was soll man denn schon schreiben, wenn kaum etwas eine Bedeutung hat? Das Leben fühlt sich leer an, kein froher Schein, keine stille, weiche samtschwarze Geborgenheit. Die Welt ist grau in grau. Die Batterie ist leer, die innere Sicherheit ist dahin, die Seele ausgedörrt. Was man in so einem Zustand braucht, bekommt man auch nicht, von nichts kommt bekanntlich nichts und wenn man nichts aus sich schöpfen kann, kommt von außen nichts zurück, auf Glück braucht man ohnehin nicht zu hoffen. Jedenfalls fehlt in so einem Zustand jegliche Inspiration, wenn man leer ist, kann man nichts Schönes erschaffen.

Am besten schreiben kann ich in Melancholie. Ich bin da, ich bin ein Teil meiner Umgebung, gleichzeitig reicht es nicht, die Umgebung gibt Eingebung, erfüllt aber nicht. In diesem Zustand kann ich meine Gedanken schweifen lassen, sie tanzen und sich formen lassen. Inspiration ist da, woher auch immer, seien es Bilder, Musik oder Ereignisse. Gleichzeitig ist es nicht genug, damit ich mich seelisch darauf stützen kann und so gehe ich nach innen. Irgendwie ist es ein schönes Gefühl, das zu schreiben. Melancholie hin oder her, ein Lächeln.

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