Unter die Haut

geht Musik so oder so, spätestens das Innenohr ist Körperinneres. Aber wie schon oft leistet die Naturwissenschaft nur eine schwache Erklärung für das Schöne im Leben.

Was ich auch nicht meine, sind anspruchsvolle Texte. Man kann viel erzählen, aber bei Musik geht es doch um Gefühle. Es braucht nicht einmal Text, eine schöne Melodie berührt bereits alleine die Seele. Und genau darum geht es mir, wie Musik die Gefühle beeinflusst, ganz ohne Denken.

Ich bin zum Beispiel einer, der schlecht ruhig sitzen kann, wenn Musik läuft. Ich tanze gern und brauche kaum Aufwärmung, wenn das Fest losgeht, geht es los. Dabei lasse ich mich von der Musik leiten und tanze die Stimmung. Was genau ich dabei mache, ist mir im Endeffekt egal, es geht nur um das Gefühl. Und die Welt um mich herum wird unwichtig.

Aber jetzt ist ein geruhsamer Abend. Eine beinahe-Sommernacht, ruhig und angenehm frisch. Du legst dich wohl auch mal hin, lässt etwas laufen, was dich berührt und entspannst dich einfach. Möglicherweise verlierst du dabei die Zeit und stellst erst fest, wie lange du schon da liegst, wenn der Sampler durchgelaufen ist. Wenn ich das mache, fühle ich weder Schlaf noch Wachsein, es ist ein gänzlich anderer Zustand. Eine tiefe Entspannung, der Geist ist aber wach und ich fühle… Nichts. Das Körperempfinden verschwimmt und ich gleite. Ich gehe in einem wohlig-warmen Strom auf und gleite. Ich weiß nicht wohin, es ist aber auch egal. Eine unbestimmte Bewegung, begleitet von einer wohligen Wärme und sanften Licht um mich herum. Wo bin ich? Wer bin ich? Wie bin ich? Eigentlich alles unwichtig. Nach einer Weile mache ich die Augen auf. Ich wache nicht auf, ich habe ja nicht geschlafen. Die Erinnerung ist nicht die an einen Traum und ich war die ganze Zeit bei Bewusstsein. Wo auch immer dieses war.

Es geht auch anders. Mit Musik im Ohr auf ein Ziel zu. Diesmal vielleicht etwas Flottes, vielleicht auch Langsames, aber Tiefes und Kraftvolles. Ich gehe ebenfalls in mich. Die Menschen um mich herum werden zu Schemen, zu Kulissen. Ich bin relevant, vielleicht noch das Ziel. Die Schritte passen sich dem Takt an und ich lasse mich einfach nur tragen. Nein, das stimmt so nicht. Ich lasse mich nicht tragen, ich werde gerissen. Ich gleite nicht, ich fliege dahin und fühle mich dabei, wie Ikarus sich gefühlt haben muss, bevor er zu hoch flog. Am Ziel angekommen weiß ich oft nicht, wie genau ich hingekommen bin. Gut, gelaufen bin ich irgendwie. Das ist aber nur eine Tatsache, keine wirkliche Erinnerung.

Sich ruhig hinsetzen, ob im Bus oder im heimischen Sessel, bringt Anderes hervor. Stellst du dir beim Hören etwas vor? Hörst du auf den Text und folgst der Geschichte? Ich mache es, aber eigentlich nur ganz selten. Vielmehr lasse ich mich vom Klang leiten. Unwichtig sind konkrete Bedeutungen. Die Programmmusik, bei der die Instrumente Bedeutungen haben und wiederum Geschichten erzählt werden, habe ich schon in der Schule gehasst, lässt das doch wenig Raum für emotionale Eindrücke. Wie wäre es stattdessen mit Farben? Vielleicht bezeichnest du hohe Töne als hell und tiefe als dunkel und hier geht es schon los. Hell und Dunkel sind weniger Fakten, es sind Eindrücke, etwas, was man auf sich wirken lässt. Das innere Auge schweift aus. Ein Klavierintro wird zu einem Fall durch eine gräuliche Finsternis, erfüllt mit Schemen und es ist kühl auf der Haut. Die Gitarre hört sich an, nein, das stimmt so nicht. Das Gehör als Sinn existiert nicht mehr einzeln, der Höreindruck wird zu einem Gesamtbild. Die Gitarre wird zu einer Pyramide, die man emporklettert, während man von Sand berieselt wird. Und was auch immer man dabei fühlt, es ist blau. Nirgends ist ein blaues Schemen zu sehen, aber das Gefühl ist es. Ein andermal sind es nur farbige Schlieren oder Linien, dabei fühlt man sich aufgeregt, als ob es eine Überraschung gibt.

Eigentlich sind das wiederum Sinneseindrücke, ich habe aber von Gefühlen gesprochen. Hörst du gern Musik, um sich nach einem miserablen Tag zu entspannen? Ich eigentlich nicht. Vielleicht typisch Kerl, der seine Gefühle unterdrückt, aber ich lenke mich lieber ab denn ich bin ungern mit meinen Gedanken allein, wenn es mir miserabel geht. Andererseits tut es, wenn ich mich traue, doch gut, richtig abzutauchen. Gern auch beim durch die Stadt schlendern. Einfach nur ziellos dahin oder dahin, wohin die Beine tragen und dazu Musik im Ohr. Irgendwie wird das, was mich bedrückt, bedeutungslos. Ich bin noch hier, aber der Rest ist unwichtig. Ich tauche tiefer und von dort kommt Zufriedenheit auf mich zu. Es ist alles gut, ich bin so, wie ich bin, und das ist gut. Ich bin in Harmonie mit was auch immer. Es ist wunderschön. Es geht mir immer besser und besser. Ich könnte platzen vor Glück, das Glück ist beinahe unerträglich riesig. Irgendwo in meinem Kopf flammt etwas auf, wird größer, steigert sich ins Unermessliche, der Atem stockt und nachdem es explodiert ist, bin ich leicht zittrig und außer Atem. Und denke mir “Noch so einer wäre schön, aber ich kann erst mal nicht mehr”. Ein mentaler Orgasmus, wenn man es so will.

Ich habe eingangs den Text verneint. Wenn ich neue Lieder kennenlerne, höre ich, ohne zu denken, nur auf den Klang. Der Klang der Stimme ist da, aber die Worte haben keine Bedeutung. Wenn mich das Lied aber emotional anspricht, wenn mir der Atem stockt oder die Tränen kommen, wenn mich das Lied emotional berührt, dahin vordringt, wo mein eigentliches Ich ist, wird der Text wiederum wichtig. Wenn man sich öffnet, wird man verwundbar. Zu Tränen gerührt sein kann schön sein, muss aber nicht. Eigentlich schöne Lieder können mich, wenn sie unter die Haut gehen und von etwas handeln, was in meiner derzeitigen Situation ein schmerzliches Thema ist, verletzen. Vielleicht hast du auch schon geweint zu einem Lied. Ich hatte mal einen richtigen Horrortrip. Was noch gut anfing, fühlte sich nach wenigen Sekunden seltsam an. Anstatt auszuschalten machte ich weiter und kurz darauf setzten die Gedanken aus. Zurück blieb nackte Verzweiflung. Keine Tatsachen, keine Gedanken, nichts im Kopf. Die tiefgehende Panik erstickt alles und man kann nichts mehr dagegen tun. Im Nachhinein erinnere ich mich an Zitteranfälle, ziellose Umherlaufen und fühle mich ausgebrannt.

Die Zeiten sind vorbei. Ich bin kontrolliert und drehe nicht durch. Typisch männlich? Keine Ahnung. Eigentlich auch unwichtig. Ich bin ich, kein Stereotyp und ich komme mit mir klar. Wie ich sagte, ich habe mich im Griff. Es ist aber interessant, was das für die Gefühle bedeutet. Zugegeben, ich rede nicht viel darüber, aber Musik ist ein wunderbares Ventil für Emotionen jeglicher Art. Nicht Nachdenken, es einfach nur auf sich wirken lassen.

Oder es nach außen tragen. Manchmal geht es in dem Lied um genau das, was man sagen will. man soll sich trauen, es einfach zu singen. Für die ganze Welt. Oder für denjenigen Menschen, der für mich die Welt ist.

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